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Die Institution und ihre Tätigkeitsfelder

Allgemeines

Die Jugendhilfe in der DDR, zu der u. a. auch die Adoptionsvermittlung gehörte, war in das Gesamtsystem des Sozialismus eingebettet. Sie wurde dementsprechend als gesamtgesellschaftliches Anliegen gesehen und sollte der Durchsetzung der sog. sozialistischen Moral dienen. Zugleich stellte sie ein Bindeglied zwischen Politik/Regierung/Partei und Gesellschaft dar.

Die Aufgaben der Jugendhilfe wurden gemäß der Präambel der „Verordnung über die Aufgaben und Arbeitsweise der Organe der Jugendhilfe (JHVO)“ vom 22. April 1965 (GBl. 1965, S. 359), Neufassung vom 3. März 1966 (GBl. II, 1966, S. 215) bestimmt von den

„Grundsätzen des einheitlichen sozialistischen Bildungssystems, des sozialistischen Familienrechts und der Jugendpolitik des Arbeiter- und Bauern-Staates“.

Im Kern war die Jugendhilfe darauf gerichtet, die Erziehungsverhältnisse in der Familie so zu gestalten, dass sie mit denjenigen der gesellschaftlichen Ordnung übereinstimmten, zumindest im Grundsätzlichen. Als staatliche Instanz sollte sie dort wirksam werden, wo eine entsprechende Übereinstimmung/Interessenidentität (noch) nicht festgestellt werden konnte, bzw. wo die Prinzipien des sozialistischen Gemeinschaftslebens im Einzelfall keine vollständige Berücksichtigung fanden (siehe hierzu auch die Ausführungen im „Leitfaden für Jugendhilfekommissionen von 1969“, herausgegeben vom Ministerium für Volksbildung, S. 9 ff.).

Ein Tätigwerden der Organe der Jugendhilfe wurde daher u. a. dann als erforderlich angesehen, wenn die Familie den an sie gestellten Anforderungen an die Entwicklung und Erziehung ihrer Kinder nicht gerecht wurde (so ausdrücklich im o. g. Leitfaden, S. 11 „...., wenn im Zusammenhang mit der Kindererziehung in den unmittelbaren sozialen Beziehungen einzelner Menschen die Prinzipien des sozialistischen Zusammenlebens nicht verwirklicht werden“).

Unter pädagogischen Aspekten wurde Jugendhilfe dann als erfolgreich gewertet,

„wenn sie die Erziehung der Kinder und Jugendlichen zu guten Staatsbürgern unserer Republik im Blickfeld hat, wenn sie dazu beiträgt, bei den Minderjährigen einen festen Klassenstandpunkt herauszubilden“ (vgl. „Leitfaden“, S. 17)

Organisation

Die Jugendhilfe war stark hierarchisch strukturiert. Ihre Organe fanden sich sowohl auf unterer Verwaltungsebene (Kreise, Stadtkreise, Stadtbezirke) als auch auf Bezirks- und Ministerialebene, wobei die Zuständigkeiten auf den unterschiedlichen Ebenen ihrerseits sehr genau festgelegt und ausgestaltet waren (siehe Iris Riege, in: „Ambulante Interventionen der DDR-Jugendhilfe in die Familien in den 1960er bis 1980er Jahren“, S. 119).

Organe auf unterer Verwaltungsebene

Organe der Jugendhilfe auf unterer Verwaltungsebene (Kreise, Stadtkreise, Stadtbezirke) waren neben dem Referat Jugendhilfe, der Jugendhilfeausschuss und die Jugendhilfekommission.

Bei den Referaten der Jugendhilfe konnten auf der Ebene der Kreise bzw. Stadtkreise, Stadtbezirke zur „Sicherung der umfassenden Sorge für elternlose und familiengelöste Minderjährige" fakultativ Vormundschaftsräte gebildet werden (vgl. hierzu § 4 Abs. 1 c) in Verbindung mit § 17 Abs. 1 JHVO/DDR).

Organe auf Bezirksebene

Auch auf der Bezirksebene waren bei den Räten der Bezirke Organe der Jugendhilfe angesiedelt (Referate der Jugendhilfe und Jugendhilfeausschüsse). Im Unterschied zu den auf unterer Verwaltungsebene angesiedelten Referaten der Jugendhilfe und Jugendhilfeausschüsse hatten sie Leitungs- und Kontrollfunktionen (vgl. § 30 JHVO/DDR). Der Jugendhilfeausschuss beim Rat des Bezirkes konnte auch über Beschwerden gegen Beschlüsse und Verfügungen der Jugendhilfeorgane der Kreise entscheiden (vgl. § 30 Abs. 1 b), Abs. 2 JHVO/DDR).

Organe auf Ministerialebene

Die zentrale staatliche Leitung der Jugendhilfe war beim Ministerium für Volksbildung angesiedelt. Sie erfolgte durch die dortige Abteilung Jugendhilfe und dem Zentralen Jugendhilfeausschuss (§ 4 Abs. 1a) und b) in Verbindung mit § 31 Abs. 1 JHVO/DDR).

Der zentrale Jugendhilfeausschuss war u. a. zuständig für die Aufhebung von Entscheidungen der örtlichen Organe der Jugendhilfe (§ 32 Abs.1e) JHVO/DDR).

Gemäß § 53 Abs.1 Satz 1 JHVO/DDR konnte auf Antrag des Leiters der Abteilung Jugendhilfe, der gleichzeitig der Vorsitzende des Zentralen Jugendhilfeausschusses war, oder durch die Leiter der Referate Jugendhilfe der Räte der Bezirke ein Aufhebungs- bzw. Änderungsverfahren durch den Zentralen Jugendhilfeausschuss durchgeführt werden. Adoptionsbeschlüsse waren hiervon jedoch ausgenommen (§ 53 Abs. 1 S. 2 JHVO/DDR).

Tätigkeitsfelder

Das Tätigkeitsfeld der Jugendhilfe war ausgesprochen umfangreich und sie verfügten über weitreichende Befugnisse.

Schwerpunktmäßig war die Jugendhilfe tätig in den Bereichen der Erziehungshilfe und des Vormundschaftswesens. Daneben oblagen ihr diverse Aufgaben zur Sicherung der wirtschaftlichen Interessen von Kindern und Jugendlichen gegenüber ihren Eltern sowie Aufgaben aus dem Bereich der Amtsvormundschaft. Ferner kam ihr eine staatliche Schutzfunktion für nichtehelich geborene Kinder zu.

Erziehungshilfe

Die Voraussetzungen und Kriterien für das Tätigwerden der Organe der Jugendhilfe auf dem Gebiet der Erziehungshilfe ergaben sich insbesondere aus den §§ 1 Abs. 1 und 4 sowie 13 Abs. 1 JHVO.

§ 1 Abs. 1 JHVO lautete wie folgt:

„Jugendhilfe umfasst die rechtzeitige korrigierende Einflussnahme bei Anzeichen der sozialen Fehlentwicklung und die Verhütung und Beseitigung der Vernachlässigung und Aufsichtslosigkeit von Kindern und Jugendlichen, die vorbeugende Bekämpfung der Jugendkriminalität, die Umerziehung von schwererziehbaren und straffälligen Minderjährigen sowie die Sorge für elternlose und familiengelöste Kinder und Jugendliche.“

§ 1 Abs. 4 JHVO lautete wie folgt:

„Die Organe der Jugendhilfe werden tätig, wenn die Erziehung und Entwicklung oder die Gesundheit Minderjähriger gefährdet und auch bei gesellschaftlicher und staatlicher Unterstützung der Erziehungsberechtigten nicht gesichert sind, wenn für Minderjährige niemand das elterliche Erziehungsrecht hat oder wenn sie in gesetzlich besonders bestimmten Fällen die Interessen der Minderjährigen vertreten müssen. Die Organe der Jugendhilfe unterstützen andere staatliche Organe, insbesondere die Rechtspflegeorgane, wenn über Angelegenheiten Minderjähriger beraten und entschieden wird.“

§ 13 Abs. 1 JHVO lautete wie folgt:

„Sind die Erziehung und Entwicklung oder die Gesundheit Minderjähriger gefährdet und auch bei gesellschaftlicher und staatlicher Unterstützung der Erziehungsberechtigten nicht gesichert, kann die Jugendhilfekommission in Wahrnehmung ihrer Aufgaben insbesondere
a) die Verpflichtung der Erziehungsberechtigten, den Minderjährigen ordentlich zu erziehen und zu beaufsichtigen und mit den für die Bildung und Erziehung Verantwortlichen eng zusammenzuarbeiten, bestätigen,
b) den Erziehungsberechtigten eine Missbilligung aussprechen,
c) die Verpflichtung der Erziehungsberechtigten zum Ersatz eines durch den Minderjährigen verursachten materiellen Schadens bestätigen,
d) dem Minderjährigen einen Verweis erteilen,
e) dem Minderjährigen die Verpflichtung auferlegen, sich in geeigneter Form zu entschuldigen,
f) die Verpflichtung des Minderjährigen, einen angerichteten materiellen Schaden, durch eigene Arbeit oder aus eigenem Einkommen wieder gut zu machen, bestätigen.“

Die Organe der Jugendhilfe waren danach vor allem dann verpflichtet tätig zu werden, wenn die Eltern-Kind-Beziehungen nicht den „gesellschaftlichen Anforderungen“ entsprachen. Als Beurteilungsmaßstab galten insoweit die Grundsätze der „sozialistischen Moral“ und die zu deren Konkretisierung erlassenen entsprechenden gesetzlichen Bestimmungen, z. B. das Gesetz über das einheitliche sozialistische Bildungssystem, das Familiengesetzbuch und der Staatsratsbeschluss „Jugend und Sozialismus“ (so ausdrücklich ausgeführt im o. g. „Leitfaden“, S. 65)

Bei der Erziehungshilfe ging es im Kern darum, Einfluss auf Eltern auszuüben. Damit einher ging i. d. R. die Suche nach Verbündeten im Lebensbereich der Familie, um gezielt und dauerhafte Veränderungen zu erreichen (so ausdrücklich Michael Janitzki: „Adoption in der DDR - Biographische Fallrekonstruktionen und Adoptionsvermittlung in Deutschland“, Hrsg. 2010, S. 80).

Bei - aus Sicht der Organe der Jugendhilfe - schuldhafter, schwerer elterlicher Pflichtverletzung konnte im Extremfall Klage auf Entzug des Erziehungsrechts erhoben werden (siehe hierzu § 51 FGB).

Vormundschaftswesen

Nach Auflösung der Vormundschaftsgerichte erhielten die Referate Jugendhilfe u. a. die Verantwortung für die Übertragung des elterlichen Erziehungsrechts, der Vormundschaft und Pflegschaft sowie der Annahme an Kindes Statt (Adoption).

Im Adoptionsbereich oblag es vor allem den Jugendhelfern, die Entwicklung von Minderjährigen und deren Beziehung zu den (vorgesehenen) Adoptiveltern ständig zu beobachten. Auf der Grundlage ihrer Feststellungen hatten sie sodann dem Referat Jugendhilfe den Zeitpunkt für die Annahme an Kindes Statt vorzuschlagen. Das Referat Jugendhilfe hatte seinerseits zu prüfen, ob alle weiteren gesetzlichen Voraussetzungen für eine Adoption gegeben waren. Durch Beschluss entschied schließlich der Jugendhilfeausschuss beim Rat des Kreises über den Antrag auf Annahme an Kindes Statt (siehe Dr. Warnecke, in: „Bestimmungen zum Adoptionsrecht in der DDR-Jugendhilfe“, in: MBJS BB, S. 12 ff.)

Die Tatsache, dass in den Gemeinden und kreisangehörigen Städten die Arbeit der Jugendhilfe vorrangig von ehrenamtlichen Jugendhelfern ausgeübt wurde (vgl. § 4 Abs.1a) in Verbindung mit § 11 Abs. 1 JHVO/DDR) und sie auch im Adoptionsbereich eine zentrale Rolle spielten (s.o.), ist insofern von Bedeutung, als damit die (Erst-)Einschätzung von Sachverhalten häufig in den Händen von nicht bzw. nur unzureichend hierfür ausgebildeten Personen lag. Gerade die Beurteilung von für das Familienrecht so zentralen Begriffen wie „Wohl des Kindes“, „Erziehungsschwierigkeiten“, „Gefährdung der Erziehung und Entwicklung“ usw. hatten aber starken Einfluss auf den weiteren Verfahrensablauf und die sich anschließenden Entscheidungen. Die Weichen dafür, ob, inwieweit und ggf. in welcher Form eingeschritten wurde bzw. werden sollte, wurden dementsprechend oft schon in diesem frühen Stadium gestellt und unterlagen in besonderer Weise subjektiven Faktoren.

Anforderungen an die Jugendhilfemitarbeiter

In der Richtlinie Nr. 1 des Zentralen Jugendhilfeausschusses vom 18. November 1965 (siehe JH 1965, S. 6 ff.), die sich thematisch mit „Grundsätzen für die Vorbereitung, den Erlass und die Durchführung pädagogischer Entscheidungen der Organe der Jugendhilfe“ befasst, werden eine Vielzahl von Anforderungen an die Verantwortlichen der Jugendhilfe gestellt.

Die Erfüllung dieser Anforderungen setzte in der Regel eine bestimmte politisch-ideologische Grundhaltung aller im Bereich der Jugendhilfe tätigen Mitarbeiter voraus (einschließlich der Ehrenamtlichen, s. § 5 Abs. 2 JHVO).

Siehe hierzu beispielsweise Günther Voigt, in: „Mehr Mut in der Entscheidungstätigkeit!“, in: JH 1967, S. 257 ff.

Dort heißt es auf S. 259 wie folgt:

„Der politische Charakter der Jugendhilfe besteht in ihrem Beitrag zur Entwicklung der sozialistischen Menschengemeinschaft.“

„Jugendhilfearbeit ist ihrem Wesen nach Verwirklichung der sozialistischen Prinzipien des Zusammenlebens der Menschen im Einzelfall“

„Bei jeder Einzelentscheidung in der Jugendhilfe ist von der Funktion unseres sozialistischen Staates im Ringen um den Sieg des Sozialismus und vom sozialpädagogischen Anliegen der Jugendhilfe auszugehen“.

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